In diesem Loch lebte ein Mensch, ein alter Mann der sich sehr freute Tabita zu sehen...

Mir verschlug es die Sprache...

Es war am Donnerstagmorgen und ich musste so schnell es geht zum Stromanbieter neben dem Bahnhof in Sibiu um die Rechnung des Kinderhauses zu bezahlen... in all der Hektik der letzten Tage hatte ich es einfach vergessen und ein Anruf des Anbieters machte mir unmissverständlich klar, dass wenn heute nicht die Rechnung bezahlt wird, es am Nachmittag recht dunkel im Kinderhaus sein wird.

Dort angekommen schob ich mich durch die langen Schlangen vor den Schaltern wartender Menschen und versuchte, den Geruch der von der Masse von Menschen kommt zu ignorieren. Tabita war hinter mir, musste aber die Halle verlassen weil sie Platzangst bekam. Wir gaben uns Handzeichen das sie auf mich wartet. Es vergingen noch mindestens Dreißig Minuten bis ich an der Reihe war und zahlen konnte... Als ich endlich wieder draußen war, verlangte mein Körper einfach nur noch nach einem starken Kaffee, den es an einem Kiosk neben dem Bahnhof gab. Wir steuerten also direkt den Kiosk an und kamen in den Genuss eines heißen guten Kaffee. Man sah bereits unseren Atem in der Luft.. Es wurde langsam Winter in Rumänien.
Plötzlich hörte ich neben der an den Kiosk grenzenden Mauer ein Husten, es kling menschlich… Aber es ist nicht zu sehen.. Ich schaute Tabita fragend an... Und dann sprudelte sie damit heraus, dass sie vor einigen Tagen dort einen Mann gesehen hat, der in einem Loch in der Wand lebt ... Ganz zufällig hatte sie ihn kennengelernt und immer wieder war etwas Neues passiert, so dass sie keine Zeit hatte, mir zu zeigen wo und wer genau...
Ich ging mit ihr zu der Wand, an die ein Brett gelehnt war.. Tabita nahm es weg und ich traute meinen Augen nicht... In diesem Loch lebte ein Mensch, ein alter Mann der sich sehr freute Tabita zu sehen... Mir verschlug es die Sprache...
Sie machte uns bekannt und er erklärte mir das er Ioan heißt und 77 Jahre alt ist und kein Zuhause mehr hat.. Mittlerweile nicht mehr in geschlossenen Räumen sein kann...
Ich war verzweifelt, diesen Menschen in all seinem Leid zu sehen und das Gefühl zu haben, machtlos zu sein… Zusehen zu müssen, wie hier ein Mensch jeden Tag ein wenig mehr eins mit der Erde wurde..
Ich ging zu dem Kiosk und kaufte einige belegte Brötchen und eine kleine Fanta, sowie einen Kaffee. Tabita schenkte Ioan eine Zigarette und dann tat ich etwas, von dem ich niemals gedacht hätte ich könnte es und doch war es irgendwie ok für mich... Ich akzeptierte die Situation.. Ich akzeptierte, das er nicht dort weggehen wollte... Und dann schenkte ich ihm das wertvollste, was ein Mensch nur einer anderen Seele schenken kann.. Zeit. Lange saßen wir da und redeten, ich erzählte ihm von den Kindern und er hatte Tränen in den Augen und bedankte sich bei uns immer wieder für das gute Gespräch....
Irgendwann mussten wir weiter, aber das Schicksal von Ioan ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich konnte akzeptieren, dass er dort leben möchte.. Aber nicht die Kälte. Also ging ich in einen speziellen Laden für Outdoor Ausrüstung um einen Schlafsack und eine Iso Matte zu kaufen. Ein junger Verkäufer kam mich beraten und als er mich fragte, wofür genau es sei, zeigte ich ihm die Bilder von Ioan.... Er sah mich an und meinte :,, Achso... Na dann suchen wir etwas billiges"... Ich atmete ruhig durch und zeigte ihm noch einmal das Bild von Ioan und fragte wie es wohl für ihn wäre… Wenn er jetzt an Stelle von Ioan wäre… Und Ioan wäre hier um mich zu beraten... Wie er an dessen Stelle wohl über eine solche Aussage denken würde...
Der junge Verkäufer schaute mich an und es war ihm sichtlich unangenehm, er entschuldigte sich.
Dann fuhr ich nach meinem Feierabend noch einmal zu Ioan... Bei dem gerade die Polizei ihre Runde drehte. Ich gab ihm den Schlafsack und er traute seinen Augen kaum. Die Polizistin ermahnte ihn noch einmal, nachts kein Feuer anzumachen. Er sah sie an und lächelte:,, Gute Frau, ich brauche kein Feuer anmachen.., denn dank dieser netten Dame (er zeigte auf mich), werde ich heute Nacht schlafen wie im Bett von Napoleon "... Wir waren alle baff. Er wünschte mir noch einen schönen Abend und erinnerte mich daran, dass die Kinder auf mich warten..

Update am 4.12.2019

 

Die Macht der Hoffnung,

Aufgerüttelt durch unseren Post über den 77jährigen Ioan, den wir in einem Loch gefunden haben, nahmen viele Menschen Anteil am Schicksal des alten Mannes. So konnte er letztendlich überzeugt werden, den Platz zu verlassen und die Nacht im Nachtasyl zu verbringen, und dann wurde er nach Medias zu Verwandten gebracht.

 Und er hatte einen Wunsch. Er sagte den Leuten von der Politia Locala immer wieder, dass er mich und Tabita sehen möchte. So brachte ich heute Essen ins Nachtasyl (es gibt dort keins) und verbrachte einige Zeit mit dieser guten alten Seele. Er sagte, dass alles gut werden würde und er ja bald ins Sanatorium gehen werde. Und dann... Dann hat er uns zum Abschluss ein Gedicht geschrieben, dessen Übersetzung ich hier mit posten möchte, damit alle Welt Anteil daran haben kann. Und ja, auch wenn ich akzeptieren konnte, so war ich doch innerlich so berührt von dem Fall dass ich oft nachts aufgewacht bin und mich fragte, ob man nicht doch irgendwie helfen kann... Und auch wenn natürlich klar ist, dass es nur eine weitere Etappe auf seinem Weg in sein Sanatorium sein wird, so denke ich doch, dass er diesen Weg jetzt in Frieden finden kann.. Ohne Hunger und Kälte. Ich bedanke mich auch im Namen von Ioan bei allen, die geholfen haben diese Geschichte so öffentlich gemacht haben (eine Person hat sogar die Bürgermeisterin von Sibiu angeschrieben) und so wurde es möglich dass das Leid dieser Seele nicht mehr übersehen werden konnte. Jenny