Wie wir aus Versehen eine "Vorschule" eröffnet haben
Es mag komisch klingen und es war bei allem Wissen und Gewissen ganz bestimmt nicht geplant ...aber manchmal kann eine persönliche Überreaktion doch sehr interessante Folgen haben.
So zumindest in diesem Fall. Iulia, Alex und ich hatten in dem doch recht großen Dorf "Vurpar" im Landkreis Sibiu, in dem eine große Armut herrscht, einige Familien in unser Programm aufgenommen. Die Situation vieler Familien dort ist mehr als prekär und man braucht schon eine ordentliche Portion Mut...um nicht per se zu verzweifeln. Wie gut, dass wie jetzt schon sehr oft die Erfahrung machen konnten das, wenn man konsequent an den jeweiligen Fällen arbeitet, die Erfolge früher oder später deutlich zu sehen sind. Aus diesem Grund war es für uns keine allzu große Überraschung zu erkennen, dass allein in den letzten drei aufgenommen Familien insgesamt 9 Kinder waren, die noch nie eine Schule besucht hatten. Nach einigen Gesprächen mit den Eltern war sehr schnell klar: Die Kinder sollen so schnell es geht in der Schule (die sich in Vurpar befindet)
eingeschrieben werden. Gesagt, getan und so suchten wir zusammen in unserem Sachspendenlager alle nötigen Dinge heraus, die wir dazu brauchten. Kleidung, Schulranzen, Schuhe und natürlich hatte ich noch das große Glück, eine ganz kleine Kiste mit genau 10 Schulstartern vom letzten Jahr zu finden. Es passte irgendwie alles so super ...
dachten wir. Am nächsten Tag fuhren Iulia und Alex in aller Frühe nach Vurpar, um die Kinder mit samt Eltern und entsprechenden Dokumenten zur Schule zu begleiten. Die Stimmung war prächtig...bis zu dem Moment, an dem die Schule erklärte, dass sie sich nicht im Stande sehen, innerhalb des zweiten Semesters eines Schuljahres so viele Kinder auf einmal einzuschreiben und dass man nur die Dokumente schon dort lassen könnte um somit den Platz ab Herbst zu sichern... Die Stimmung war im Keller, aber wir erlebten das nicht zum ersten Mal.
Ok, wir beschlossen, es hinzunehmen und verstanden die Situation sogar irgendwie ...Es gab einfach nicht genug Plätze und es müsste noch ein zusätzlicher Lehrer angefordert werden...bis zum Herbst war das wahrscheinlich von Seiten einer kleinen Dorf-Schule zu managen. Traurig erklärten wir den Kindern, dass es leider erst im September gehen würde. Sie waren traurig, immerhin schien ihnen die Aussicht auf einen Schulbesuch zumindest spannend zu sein.
Eine Vorstellung direkt davon hatten sie wohl eher nicht. Woher auch? Mehrere der Kinder hatten vorher in einem alten Bauwagen auf einer Schaffarm in Rumänien, irgendwo im Nirgendwo, gelebt. Kopf hoch, dachte ich mir, ab Herbst packen wir es an. Dann kam der nächste Tag und wir waren gerade sehr beschäftigt als ich Iulia hörte...deren Stimme am Telefon immer lauter wurde ....
Als sie das Gespräch beendet hatte, sprudelte es aus ihr heraus. Die Schule aus Vurpar hatte angerufen und ihr mitgeteilt, dass die Kinder vom Vortag am Morgen mit Ranzen auf dem Rücken auf dem Schulhof aufgetaucht seien. Das man ihnen doch bitte noch einmal erklären möge, dass es jetzt nicht geht... So brachen wir unsere Tätigkeit ab und setzten uns zusammen an den Tisch. Es war recht witzig, weil niemand zu dieser außerordentlichen Sitzung geladen war, sie aber wie selbstverständlich begann. Was konnten wir tun? Außer uns beim Schulamt beschweren...und dann?
Davon tauchten auch vor Herbst keine Möglichkeiten auf. Was konnten wir tun? Uns beschäftigte irgendwie nicht die Frage, was wir für die Kinder aber Herbst tun könnten...sondern jetzt und hier? Und so kam uns die Idee, den Raum für unsere After-School Aktivitäten im Kinderhaus in ein "Vorschul- - Projekt" am Vormittag eines jeden Tages für diese Kinder ins Leben zu rufen, um sie auf die Schule im Herbst vorzubereiten. Schnell kam uns die Idee eines warmen Mittagessens...und nachdem wir alle tollen Dinge besprochen hatten, die wir tun wollten...
widmeten wir uns den Problemen, die ein solches Vorhaben mit sich bringen würde. Alex beschloss, dass er freiwillig jeden Tag eine Stunde eher zur Arbeit kommen würde, um die Kinder abzuholen. (der Ort ist ca. 20 km entfernt). Ebenfalls haute es mich von den Socken, gleich beim ersten Anruf einer lieben Lehrerin aus unserem After-School Programm in Cisnadie für dieses Vormittags Programm zu begeistern. Ihr Name ist Claudia und sie ist eine Seele von Mensch.
Unsere Köchin war gerne bereit, noch ein paar weitere Portionen zu kochen und freute sich sehr über unseren waghalsigen Plan. Und was soll ich sagen...So holte Alex bereits am nächsten Tag die Kinder aus Vurpar ab. Die Eltern freuten sich sehr und ich konnte es einfach nicht glauben. Und so vergingen die ersten Tage und die Kinder haben mittlerweile viel Freude bei uns und lernen jeden Tag neue Dinge mit einer Passion, die ihresgleichen sucht.
Natürlich wird auch diese Mini Projekt einige Kosten (Diesel, Essen, Nebenkosten usw.) aufwerfen, obwohl Claudia freiwillig auf eine Entlohnung verzichtet hat, von denen ich momentan keine Ahnung habe, woher wir sie nehmen sollen. Aber ich habe beschlossen, nicht in Panik zu verfallen und euch unser kleines Vorschul-Projekt zu zeigen, dass wir quasi aus dem tiefen Wunsch JETZT und HIER zu handeln ins Leben gerufen haben. Wie lange es bestehen kann, liegt nicht in unseren Händen, denn momentan scheint alles immer schwieriger zu werden.
Aber ich hoffe, wir finden genug Engel, die sich hinter uns stellen und uns helfen, diesen Kindern die gleichen Chancen auf Bildung zukommen zu lassen, wie sie für so viele Kinder um uns herum ganz normal ist.